Mit Vollbremsung ins neue Leben

Gut und süffig

Axel Dubinski war nie bequem. Und doch wird er jüngster Betriebsratsvorsitzender und Aufsichtsrat eines großen deutschen Industrieunternehmens. Er setzt sich für die Belange der Mitarbeiter ein, genießt aber auch die Anerkennung, die Gestaltungsfreiheit und den Lebensstil der Chefetage. Als ihm klar wird, dass er seine Werte immer weniger leben kann, beendet er abrupt seine Konzernkarriere. Ein Besuch bei einem Menschen, der die Überholspur gegen ein Leben im Einklang mit sich selbst getauscht hat.

„Sie passen nicht in unser System“. Mit diesen Worten wird der junge Bankkaufmann nach Abschluss seiner Ausbildung auf die Straße gesetzt. Denn er verschweigt nicht, dass er die Mitarbeiterführung seiner Vorgesetzten für falsch hält. Ihn stört, dass sie nicht den Mut haben für sich und ihr Team einzustehen, dass sie nach oben buckeln, um dann nach unten zu treten. Er beginnt als Sachbearbeiter bei einem Chemie- und Pharma-Konzern. Auch hier wird er mit schlechten Führungskräften konfrontiert und versteht, wie das die Potentialentfaltung der Mitarbeiter behindert. Wieder zieht er weiter und absolviert eine Verkäuferausbildung bei einem großen Automobilhersteller. Er hat Glück, kann direkt nach der Ausbildung ein frei gewordenes Vertriebsgebiet übernehmen und sticht durch sein Verkäufergeschick heraus. Hier beginnt der rasante Aufstieg des 30-Jährigen.

Axel möchte es besser machen als seine bisherigen Vorgesetzten. Er absolviert eine Trainer- und Führungskräfteausbildung, wird Leiter des Bildungswesens der hauseigenen Bank. Hiernach lässt er sich in den Betriebsrat eines neu gegründeten Konzernteils wählen und wird mit 33 Jahren sowohl jüngster Betriebsratsvorsitzender als auch jüngstes Mitglied des Aufsichtsrats in der Konzerngeschichte. Es folgt ein Leben wie im Rausch. Er pendelt zwischen seinen Büros in Stuttgart und Berlin, fühlt sich wichtig und bedeutend, genießt die Insignien der Macht und engagiert sich gleichzeitig mit Leidenschaft für die Interessen der Belegschaft.

In dieser Phase setzt aber auch ein Gefühl der Ohnmacht und Verbitterung ein. Wieder erlebt er Manager, die keine Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen. Als beschlossen wird, eine Unternehmenssparte zu schließen, bringt der Vorstand nicht die Courage auf, vor die betroffenen Mitarbeiter zu treten, um für die Entscheidung einzustehen. Axel ist entsetzt über die künstliche Trennung von Entscheidungs- und Umsetzungsebene, die seiner Meinung nach zur Entseelung der menschlichen Beziehungen und zur Diktatur der Zahlen führt. Damit nicht genug. Er spürt, dass er immer mehr Teil des Systems und damit wie diejenigen wird, die er für ihre Distanz und Abgebrühtheit so kritisiert. Gleichzeitig hat er das Gefühl, die Spielregeln des Systems verstanden zu haben und sich nicht mehr schnell genug weiterentwickeln zu können. Er kündigt auf dem Höhepunkt seiner Karriere, legt alle Ämter nieder und beginnt mit 36 Jahren ein neues Leben.

Doch was genau hat ihn in diese Höhen getrieben? Und was lässt ihn einen so konsequenten Schlussstrich ziehen? Um die Motive zu verstehen, lohnt sich ein Blick in seine Kindheit. Axel wächst in bescheidenen Familienverhältnissen auf und wird von verschiedenen Verwandten betreut. Das Kleinkind entwickelt feine Antennen, um zu spüren, wer ihm zugetan ist und wann er sich schützen muss. Es bildet sich ein ausgeprägter Lebens- und Überlebenswillen aus.

Spätere Erlebnisse seiner Kindheit auf den Berliner Straßen – und hier vor allem die Eindrücke der gewaltsamen Auseinandersetzungen der 68er Demonstranten mit der Polizei – verstärken diese Prägungen und formen seinen Gerechtigkeitssinn. So lässt sich wohl auch die Rebellion gegen Vorgesetzte erklären, die ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Genauso wie sein Ehrgeiz und seine Empathie, mit der er als Querdenker anerkannt wird und es gleichzeitig schafft die Karriereleiter zu erklimmen. Andererseits wird so auch sein Ausstieg nachvollziehbar. Denn seine Autonomie schien bedroht und seine innere Verbindung ließ ihn spüren, wie er seine Ideale immer weniger lebte. So passte er wieder einmal nicht ins System – es war Zeit zu gehen.

Es folgt eine nicht weniger aufregende Zeit. Axel zieht mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern in eine Allgäuer Ökosiedlung und durchlebt die typischen Entzugserscheinungen abhandengekommener Macht. Es folgen Ehe-, Sinn- und Identitätskrise. Später wird er wieder aktiv, verantwortet große Projekte für internationale Konzerne und ist an der Gründung mehrerer Unternehmen beteiligt.

Doch dann verliert er viel Geld durch Finanzspekulationen am neuen Markt, geht durch eine Firmeninsolvenz und durchlebt die Scheidung von seiner Frau. Axel landet mittel- wie perspektivlos ganz unten. Die Verantwortung für seine Kinder und die tiefe Verbindung zu sich selbst lassen ihn wieder aufstehen. Er wickelt ein letztes großes Beratungsprojekt ab und fokussiert schließlich als Coach und Therapeut darauf andere Menschen dabei zu begleiten ihre Leidenschaften und Potentiale zu entdecken, aber auch mit traumatischen Erfahrungen umzugehen.  

Mit dem Ausstieg aus dem Konzern tauscht Axel also ein Leben auf der Überholspur gegen eines mit großen Erfolgen, aber auch tiefen Krisen ein. Dieser ungewöhnliche Lebensweg wird erst mit Blick auf  seine inneren Treiber verständlich, die von einem Bedürfnis nach Autonomie und Weiterentwicklung, aber auch von einem starken Gerechtigkeitssinn geprägt sind. Heute ist er so zufrieden wie nie und fühlt sich mit sich und seiner Familie in Einklang. Und das spürt man. In unserem Gespräch verströmt er Gelassenheit und eine tiefe innere Ruhe.

 

Bildquelle: © Florian Kiel

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